11. September 2019

23. Internationaler Kongress Renovabis 2019 in München

Kirche in der Großstadt – Herausforderungen für die Pastoral in Ost und West

Persönliche Bezüge zur Thematik

Mein kleiner Geburtsort Neubäu im bayerisch-böhmischen Grenzgebiet hatte eine zweiklassige Volksschule und auch eine St.Georgs-Dorfkirche, von der Auswandererfamilie Rebitzer in Amerika gestiftet und 1913 eingeweiht. Baron Kotz aus Heiligenkreuz spendete das Bauholz und der habsburgische Kaiser Franz Josef 400 Kronen.
Zu jedem Kirchweihfest kam der Pfarrer unserer kleinräumlich überschaubaren Pfarrei Heiligenkreuz. Bis zur Vertreibung besuchten Neubäuer auch Kirchen in benachbarten Orten der Oberpfalz. Der Eiserne Vorhang durchschnitt aber auch das jahrhundertealte „grenzüberschreitende kirchliche Leben“.

In fünfjähriger kaukasischer Kriegsgefangenschaft half ich beim Straßen-, Häuser- und Brückenbau auch in georgischen und aserbaidschanischen Industriezentren. Zwischen Tiflis und Baku entstand der Kura-Stausee und Mingetschaur, die nun viertgrößte Stadt Aserbaidschans.
Auch zerbombte deutsche Großstädte wurden wieder aufgebaut. Zwischen Augsburg und München kehrte ich 1950 zu meiner vertriebenen Familie in das „Wittelsbacherland“ - in meine „zweite Heimat zwischen Ballungsräumen“ - heim.
Die Bayerische Landesausstellung 2020 „Stadt befreit - im Wittelsbacherland“ erinnert beispielhaft an die „Wittelsbacher Gründerstädte“ Aichach und Friedberg sowie an den Markt Mering an der Paar. Von der Paarmündung aus, durch den Bairischen Nordgau christianisierte und kultivierte Markgraf Diepold III. von Vohburg auch die „Regio Egere“. Mit „seinem ersten Schwiegersohn“ Kaiser Barbarossa gründete er im 12.Jahrhundert die „Burgstadt Eger“.
Als „Augsburger Diözesanrat“ und „Mitglied des Landeskomitees der Katholiken“ in München beschrieb ich die Urbanisierung und Folgerungen für die Pastoral in der Trilogie: „Glaube und Kirchlichkeit“ (1975), „Herausforderungen an die Kirche“ (1980) und „Über die Kirchentüre hinaus“ (1987):

Die „Bistumswallfahrt zur Tausendjahrfeier der Christianisierung Russlands“ dokumentierte ich in: „Als Wojna-Pleny-Pilger (Kriegsgefangerpilger) durch das heilige Russland“ (1988). Wir „erlebten“ Kirche, auch in russischen Großstäden: in Lemberg, Kiew und Moskau.
Als bayerischer Bildungsforscher aus dem Egerland publizierte ich 1991 die Pilotstudie: „Bildungsregion der offenen Grenzen inmitten Europas“, auch für ein „internationales Symposion“ an der Wirtschaftsfakultät der Universität Plzeñ/Pilsen in Cheb/Eger 1994.

Die „AEK-Studienreihe Bildungsregion Euregio Egrensis“ stellt Entwicklungen des kleinräumlichen Bildungsverhaltens und die sozioökonomischen Bedingungsfaktoren durch den SBBS-Index signifikant dar. Langzeitstudien belegen seit der Gebiets- und Schulreform in Bayern 1972 auch das veränderte Bildungsverhalten in Großstädten.
Auch darüber berichtete ich bei den jährlichen „Internationalen Kongressen Renovabis“ (siehe auch: Beitrag zum 18. Internationaler Kongress Renovabis in Freising 2015 ).

Kirche in der Großstadt beim 23. Internationalen Kongress Renovabis in München

Der Kongress analysierte die erheblichen Veränderungen der kirchlichen Landschaft in Mittel- und Osteuropa im 20. Jahrhundert. Industrialisierung und Landflucht veränderten die herkömmlichen Pfarreistrukturen auf dem Lande. Es entstanden Großstädte mit neuen Kirchenstrukturen und eine „umwälzende Großstadtpastoral“.
Diktaturen, Krieg und Vertreibung veränderten auch großstädtische Kirchenstrukturen tiefgreifend, zumal in Mittel- und Osteuropa. Säkularisierung fordert insbesondere die Seelsorge in Großstädten fundamental heraus. Wie darauf dort Kirchen schon reagierten, wurde in Vorträgen, Podien und Arbeitsgruppen ausführlich diskutiert. Erfahrungen in Ost und West wurden verglichen, um daraus auch neue „Ansätze“ zu entwickeln.

„Kirche findet Stadt“, auch in der bayerischen Metropole München, wo Hauptgeschäftsführer Pfarrer Dr. Christian Hartl den „Renovabiskongress 2019“ eröffnete:
„Sich auf den Weg in die Stadt machen: suchend, fragend, zuhörend, sich informierend und reflektierend und betend“. Einrichtungen der Großstadtseelsorge in München wurden besucht. Erzbischof Dr. Heiner Koch berichtete auch über die Großstadtpastoral in der Bundeshauptstadt Berlin: „Nicht warten, bis die Leute zu uns kommen, sondern hingehen zu ihnen“.

Dr. Hartl war Augsburger Domvikar und Regens im Augsburger Priesterseminar. Er kann pastorale Entwicklungen in den bayerischen Großstädten Augsburg und München kompetent und überzeugend vergleichen.
Referate vor über 200 Teilnehmer(innen) aus rund 30 Ländern vermittelten die Vielfalt urbanitärer Entwicklungen weltweit. Dabei kamen persönliche Erfahrungen und Biografien der Referentinnen und Referenten zur Geltung, auch beim Publikum. Zusammenhänge des kirchlichen Lebens mit jeweiligen regionalen Großstadtkulturen wurden verdeutlicht.

Kultur der Großstadt im Wandel

Auch ich verfolgte die Referate mit persönlichen Bezügen zu Großstädten aus eigenen Erfahrungen mit großem Interesse. Tief beeindruckte mich der Vortrag von Michael Staravič aus Wien, der einstigen Metropole der Östereichisch-Ungarischen Monarchie. 1918 wurden Böhmen, Mähren und Slowakei zur Tschechoslowakischen Republik, wo ich 1927 im Böhmerwald und Michael Staravič 1972 in Brünn/Brno geboren wurden.
Ich erlebte das Kriegsende 1945 in der Hauptstadt Prag / Praha, wo später der Referent als Kind seine Großmutter besuchte. Als Siebenjähriger kam er dann 1979 von der Industriestadt Brünn/Brno nach Wien, wo er auch Bohemistik studierte. Er wurde Sekretär des tschechischen Botschafters a. D. Jiři Gruša.

Großstadtkulturen in Prag/Praha, Brünn/Brno und Wien

Der österreichisch-tschechische Schriftsteller Michael Staravič wuchs zweisprachig auf und plublizierte – wie ich – auch biografische E-Books. In Amerika sei er Europäer, in England Mitteleuropäer und in Tschechien Österreicher. Er berichtete kompetent über kulturelle Entwicklungen in den mitteleuropäischen Großstädten Prag/Praha, Brünn/Brno und Wien seit den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts:
Prag/Praha habe eine „tschechische, jüdische und deutsche Substanz“. Es habe einen „geheimnisvollen Charme“ und werde „von Touristen úberrannt“. Man höre auch noch von Ernst Mosch und seinen „Original Egerländer Musikanten“. Böhmen war „Heim der Bojer“, etymologisch verwandt mit „Baiern“. „Wittelsbacher“ und „Habsburger“ prägten auch das Egerland kulturell.
Der Referent veranschaulichte „Kultur im heutigen Brno / Brünn“ als einer großen Industrie- und Messestadt“. Touristen überblickten die mährische Metropole von der „Barockfestung Spielberg / špilberk“ aus. An ihr vorbei – wurden wir Kriegsgefangene 1945 zum „Verladebahnhof“ getrieben.

Von Prag aus erlitt ich mit tausenden Mitgefangenen 1945 den „Todesmarsch nach Brünn“. Von Brünn aus wurde auch ich in Viehwaggons über Wien nach Konstanza verschleppt. Im Schwarzen Meer brachte mich das rumänischen Schiff „Transsylvania“ in eine „fünfjährige kaukasische Kriegsgefangenschaft“. Das kulturelle Leben in den damals russischen Großstädten Suchumi, Tiflis und Baku konnte ich nur durch Stacheldrahtzäune „beobachten“ und erspüren.
Auf „Zementsackpapier“ schrieb ich Heimatgedichte, die ich Mitgefangenen auf den Lagerplätzen vortrug. In einer Bakuer Baracke „zelebrierte“ einmal ein mitgefangener Pfarrer aus der Diözese Regensburg „notdürftig“ einen Gottesdienst“. Vom Armenischen Hochland aus sah ich den „biblischen Berg“ Ararat, auf dem Noah von Gott gerettet wurde (Gen 8,4 EU). In dunklen Baracken betete ich täglich zu Gott um baldige Heimkehr.

Wiedergutmachung und Renovabis in Transkaukasien

Der Russlandfeldzug des Zweiten Weltkrieges endete in Stalingrad. Deutsche Soldaten sollten das Ölgebiet um Baku erobern, besetzten aber nur kurzzeitig den Elbrus. Die Kriegsgräberstätte im nordkaukasischen Apscheron erinnert an tausende Gefallene. Siehe mein E-Book: „Kriegsgräber mahnen zum Frieden und erinnern an Krieg - Vertreibung-Gefangenschaft - Heimkehr“ ( nach Klick auf das folgende Buchtitelblatt vollinhaltlich abrufbar! ) .
Als einer der jüngsten Kriegsgefangenen leistete auch ich von 1945 bis 1950 „Wiedergutmachung“ in Transkaukasien. 1988 wallfahrtete ich unter 99 Christen aus der Diözese Augsburg mit Bischof Dr. Joseph Stimpfle zur Tausendjahrfeier der Christianisierung: „Als Wojna Pleny-Pilger (Kriegsgefangenenpilger) durch das Heilige Russland“ (Link zum Buch) .
Wir Kriegsgefangene bauten Straßen und Häuser in Suchumi, Tiflis und Baku. Brückenbauten über die Kura sollten auch „friedenstiftende Mahnmale“ sein.

Renovabis unterstützt die Caritas in Transkaukasien

Dazu berichtete die Caritas-Direktorin Anahit Mkhoyan aus Tiflis beim Renovabis Kongress in München. Das dortige „Haus der Caritas“ sei eine Begegnungsstätte für Jung und Alt. Im „Kinder- und Jugendzentrum“ werden viele verarmte Jugendliche gefördert. Das „Seniorenzentrum“ versorgt behinderte ältere Menschen. Renovabis bat um „Hilfe für pflegebedürftige Menschen in Geogien“. Dafür bedankte sich Pfarrer Dr. Hartl brieflich, auch für meine Spende.

Kirchliche Herausforderungen in tschechischen Großstädten

Tschechische Großstädte sind Praha/Prag, Brno/Brünn, Ostrava/Ostrau, Plzeñ/Pilsen, Liberec/Reichenberg und Olmouc/Olmütz.
Bischof Dr. Tomáš Holub aus Plzeñ/Pilsen nannte „Fantasie und eine persönliche Beziehung zu Christus“ als Voraussetzung für Großstadtpastoral. In seinem „Egerlandbistum“ liegt die Großstadt Plzeñ/Pilsen mit rund 170.000 Einwohner(innen). Es gibt viele Kleinstädte (unter 50.000 Einwohner/innen), wobei die Städte im Bäderdreieck um Cheb/Eger viele Touristen und Kurgäste aus aller Welt aufnehmen. Dies erfordert eine „flexible Kurstadtpasoral“.
Das südliche Egerland des nördlichen Böhmerwaldes – jetzt český les: Böhmischer bzw. Oberpfälzer Wald – waren und sind ländlich geprägt. Nach der Vertreibung der Deutschen zogen viele Menschen aus östlichen Regionen der Tschechoslowakischen Republik zu. Entlang des Eisernen Vorhanges wurden viele Dörfer, Schulen und Kirchen zerstört. Der Kirchenbesuch ist minimal. Vertriebene Egerländer und Böhmerwäldler kommen zu „Erinnerungs-Gottesdiensten“ in Kirchenruinen und/oder in schon renovierte Kirchen.

Bischof Dr.Holub hielt am 16.06.2017 in meiner Taufkirche in Heilgenkreuz eine Pontifikalmesse. Sein Vorgänger, Bischof emeritus Frantíšek Radkovský, tat dies am 21.06.2019. Nach Friedhofsbesuchen begegneten sich alle Teilnehmer(innen) unter einem Zeltdach. Gespräche erinnerten an das kirchliche Leben vor und nach der Vertreibung und „blickten sorgen- und/oder hoffnungsvollvoll“ in die Zukunft. Die Homepage www.heiligenkreuz-haselberg.de berichtet ausführlich unter „Aktuelle Meldungen“.
Beide „Pilsner Bischöfe“ besuchen auch „Sudetendeutschen Tage“ (Link zum Beitrag vom 3. Juni 2017): Radkovský war 2017 Hauptzelebrant beim ST in Augsburg. Aus Augsburg kam der verstorbene „Regensburger Bischof“ Manfred Müller, der das neue „Egerlandbistum Plzeñ/Pilsen“ unterstützte und gemeinsam mit dem „Gründungsbischof“ Radkovský förderte.
Der aus Kladrau/Kladruby stammende jetzige Regensburger Bischof Dr. Rudolf Voderholzer konzelebrierte feierlich mit dem neuen Pilsner Bischof Msgr. Dr. Tomáš Holub und mit rund 200 Pilger(innen) aus Bayern und Böhmen am 26.09.2019 in Maria Kulm im Egerland einen Pontifikalgottesdienst.
Das „Egerlandbistum Plzeñ/Pilsen“ wird zu einem „christlichen Fundament der grenzüberschreitenden Bildungsregion Euregio Egrensis“ – im „Herzen“ eines friedlich vereinten Europas.

Aus dem Abschlussstatement von Erzbischof Dr. Ludwig Schick aus Bamberg, Vorsitzender der Kommission Weltkirche der Deutschen Bischofskonferenz

Weltkirche der Deutschen Bischofskonferenz:
Renovabis habe in 25 Jahren in Europa zur „Einheit und Frieden, Entwicklung und Fortschritt im Geiste Jesu Christi und seiner Botschaft“ beigetragen. Für die „Pastoral in der Großstadt“ tauge die „Institution Kirche“ nicht sehr. „Christengemeinschaften“ seien als „Volk Gottes unterwegs“ gefordert. Der Christ in der Großstadt sei „mehr sozial und weniger liturgisch, mehr caritativ und weniger sakramental, mehr weltkirchlich und weniger pfarrkirchlich etc.“.
Aus „weltkirchlicher Sicht“ sei „nicht Säkularisierung, sondern Parallelisierung der Religionen“ absehbar. „Ökumenischer Dialog“ und „interreligiöser Diskurs“ seien erforderlich:
Themen für den nächsten Internationalen Kongress Renovabis vom 9. – 11. September 2020 in München!

Kurzprofil

Dr. phil. Waldemar Nowey (* 11. März 1927 in Neubäu, Egerland) ist ein deutscher Pädagoge, Bildungsforscher und Schriftsteller.

Nach Anstellungen als Lehrer und Schulleiter in Bayern promovierte er 1964 an der Universität München. Anschließend war er als Ausbildungslehrer an der Pädagogischen Hochschule in Augsburg tätig. Von 1969 bis 1989 führte er Studien für das Kultusministerium Bayern durch. In der Deutschen Nationalbibliothek sind 82 Publikationen unter seinem Namen verzeichnet.

Nowey ist verheiratet und hat zwei inzwischen verheiratete Töchter.

Siehe auch Wikipedia.